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AutorenAdvent mit Marvin Bergauer

Schon ist der zweite Advent da und ich habe das Gefühl, die Tage verfliegen nur so. In meinem zweiten Adventinterview habe ich mit Marvin Bergauer gesprochen – ein Autor, über den ich euch schon ein paar Mal erzählt habe.

Für meinen AutorenAdvent haben wir uns noch einmal zusammen getan, um über Marvins spannendes und vielschichtiges Buch zu reden – und natürlich seinen Advent und sein Jahr 2025. Viel Spaß beim Lesen!

Lieber Marvin, heuer ist dein Debütroman Der endlose Wille erschienen, ein dystopischer Roman über den Kampf um Freiheit, über Kontrolle und Trauma und eine Welt, in der der Staat sogar die Gedanken seiner Bürger:innen kontrolliert. Wie ist dir die Idee zum Buch gekommen und wie war das Schreiben für dich?

Die Idee zu „Der endlose Wille“ ist aus sehr intimen Gefühlen entstanden. Ich hatte zwei Herzoperationen und in dieser Zeit erlebt man Momente, in denen man nicht mehr nur über die Welt nachdenkt, sondern über sich selbst – über Kontrolle, Ohnmacht, Identität und die Frage, wie viel ein Mensch aushalten kann. Das Gefühl, ausgeliefert zu sein, hat mich lange begleitet. Und aus genau diesem Gefühl heraus entstand die Geschichte.

Ich wollte ursprünglich gar kein dystopisches Polit-Szenario entwerfen. Mich hat viel mehr interessiert, was Kontrolle mit Menschen macht – im Kleinen, im Innersten. Wie sie zerbrechen, wie sie kämpfen, wie sie sich verändern. Die Überwachungswelt im Roman ist nur die Bühne dafür. Sie ist nah genug an unserer Realität, dass man sich fragt: Wie weit wären wir selbst davon entfernt?

Das Schreiben war für mich deshalb nicht einfach ein kreativer Prozess, sondern eine Form von Verarbeitung. Viele Szenen habe ich nicht erfunden – ich habe sie gefühlt. Beim Schreiben durchlief ich dieselben Spannungen wie meine Figuren: den Kampf zwischen Angst und Mut, zwischen Fremdbestimmung und dem eigenen Willen.

Am Ende war das Schreiben eine Art Katharsis. Ein Weg, Schmerz in Sprache zu verwandeln und Kontrolle wieder zurückzugewinnen – zumindest ein Stück weit.

Stell dich unseren Leser:innen doch einmal vor.

Ich bin Marvin Bergauer, 29 Jahre alt und lebe in Wien und Salzburg. Ich bin TV-Reporter, Eventmoderator, Schriftsteller und jemand, der seit jeher fasziniert von Geschichten ist, die helfen, uns und die Welt zu verstehen. Ich liebe es, herauszufinden, was Menschen im Innersten antreibt.
Schreiben bedeutet für mich, Fragen zu stellen, für die es im Alltag oft keinen Raum gibt – und Antworten zu suchen, die manchmal schmerzen, aber immer etwas in Bewegung setzen.

Mit welchen drei Wörtern würdest du dein Buch beschreiben?

Intensiv. Menschlich. Real.

Das trifft es meiner Meinung nach echt gut. Im Zentrum der Handlung von Der endlose Wille steht die Familie Hildmann mit ihren Söhnen Philipp und Benjamin, sowie Chloe und Levin. Sie alle werden auf die ein oder andere Art von den Ereignissen beeinflusst, mitgerissen und hineingezogen. Kannst du uns die Protagonist:innen mal kurz vorstellen?

Levin
Ein junger Mann zwischen Überlebenskampf und Selbstzerstörung. Er trägt eine Erinnerung, die er nicht vollständig versteht und dennoch jede seiner Bewegungen formt. Sein Überleben ist kein heroischer Triumph, sondern ein bewusstes Aushalten. Sein innerer Kampf ist der Motor der Handlung.

Chloe
Sensibel, intelligent und traumatisiert. Sie kämpft gegen eine Vergangenheit, die sie kaum versteht und gegen ein System, das sie zur Symbolfigur machen will. In ihr leben kühle Selbstkontrolle und ein charismatisches, verletzliches Ich. Diese Verletzlichkeit ist keine Schwäche, sondern ihre Form des Überlebens.

Ben und Phil Hildmann
Zwei Brüder, die eng zusammengehören und doch völlig unterschiedlich auf ihr Trauma reagieren. Phil zieht alles nach innen, Ben lässt die Welt an seinem Schmerz teilhaben. Beide sind Kinder einer Familie, die versucht, in einem System voller unterdrückter Emotionen und Gewalt zu überleben.

Danny
Er ist Levins engster Freund – loyal, charismatisch, voller Dunkelheit und voller Herz. Danny verkörpert jene Art von Mensch, die in Extremsituationen über sich hinauswächst, aber auch an Abgründen entlangtanzt. Zudem wird er von seltsamen „Doppelwahrnehmungen“ geplagt.

Gemeinsam bilden diese Figuren ein Netz aus unterschiedlichsten Emotionen, die nach und nach aufbrechen. Ihre Geschichten greifen ineinander wie Zahnräder – und treiben den Roman unaufhaltsam vorwärts.

Welche Szene hat dich beim Schreiben am meisten schockiert – und warum?

Die Szene, in der Leon und Ben ihre Wut an der Reinigungskraft auslassen. Sie entstand fast wie ein Unfall – roh, ungeschönt, ohne jede Distanz. Ich wollte eigentlich nur die
zerbrochene Beziehung zwischen Vater und Sohn herausarbeiten. Doch plötzlich stand diese Szene im Raum und ich konnte nicht mehr ausweichen. Sie hat mich schockiert, weil sie zeigt, wie schnell unbewältigte Emotionen explodieren können, wenn sie keinen anderen Ausweg mehr finden.

Spannend, wie die Figuren ihren eigenen Weg gehen und zeigen, wo sie hin wollen. Welche Figur hat dich am meisten überrascht, weil sie sich vielleicht anders entwickelt hat, als du geplant hattest?

Am meisten überrascht hat mich Chloe.
Ich hatte sie ursprünglich als zurückhaltende, fast fragile Figur angelegt. Doch während des Schreibens entwickelte sie eine faszinierende Dualität, die ich so nicht geplant hatte.

Je nach Situation kann Chloe plötzlich etwas ausstrahlen, das fast magnetisch wirkt: eine intensive Form von Charisma, die den Raum füllt, und eine ganze Armee befehligen könnte. Und dann gibt es Momente, in denen sie vollkommen in sich zurückfällt – still, beobachtend, aber mit einer Dominanz, die man eher spürt als hört.

Diese Wechselwirkung aus charismatischer Präsenz und wortloser Stärke hat mich beim Schreiben oft überrascht. Sie ist keine Figur, die man führen kann – sie zeigt einem, wer sie in genau diesem Moment ist. Und genau diese Unberechenbarkeit hat sie zu einer der spannendsten Figuren im gesamten Roman gemacht.

Das ist ein spannender Gegensatz, den Chloe so in sich hat. Ich finde es immer toll, wie die Entwicklung von literarischen Figuren sich abspielt. Dein Buch reißt einen als Leser:in direkt in die Handlung, Österreich am Tag der Freiheit, den man aus der Sicht der verschiedenen Protagonst:innen erlebt. Wie war es für dich, aus der Sicht verschiedener Menschen zu schreiben?

Eine Herausforderung – und gleichzeitig eine der größten Freiheiten des Romans.
Jede Figur denkt anders, fühlt anders, erinnert anders. Das spiegelt sich auch im Schreibstil der verschiedenen Kapitel wieder: Während bei den Hildmanns starke, unverarbeitete Emotionen regieren, sind Chloes Kapitel poetisch und ruhig. Besonders spannend war es, ihre Wahrnehmungen der verschiedenen Ereignisse zu beschreiben: dieselbe Welt, aber verschiedene Wahrheiten. Es hat mir ermöglicht, die Handlung vielschichtiger zu erzählen und zu zeigen, wie sehr Trauma und Entscheidungen bestimmen, wer wir werden.

Ich glaube, Trauma und Entscheidungen können sehr prägsam sein, je nachdem, wie sehr man sie in sich verarbeitet und wie sie einen prägen. Bei deiner Lesung im September hast du erzählt, dass dich an Dystopien und Science Fiction schon immer fasziniert hat, „wie ganz kleine, niederschwellige Änderungen Riesiges bewirken können“. Wie hast du die kleinen Abweichungen von unserer Realität eingebaut?

Ich habe bewusst sehr kleine, fast unscheinbare Stellschrauben gewählt: Ein implantiertes drittes Auge, das Kriminalität erkennt. Ereignisse wie der „Tag der Freiheit“ und die „Zeremonie“, die nicht das bringen, was sie versprechen. Mich fasziniert, wie minimale Änderungen reichen, um eine Gesellschaft völlig zu kippen. Man muss die Realität nur ein paar Millimeter verschieben – und plötzlich wirkt sie fremd und bedrohlich.

Wie verbringst du den Advent? Gibt es Rituale, die dir wichtig sind?

Momentan ist der Advent sehr arbeitsintensiv, aber dennoch eine Zeit, in die ich mich jedes Jahr aufs Neue verliebe. Der Advent ist ruhig und voller Kraft. Wie ein kurzes Atemholen in einem ruhelosen Jahr.
Ich mache viel Sport, treffe Menschen, die mir wichtig sind und versuche mich poetisch vom Advent leiten zu lassen. Außerdem versuche ich vor Weihnachten ein paar Tage zu haben, in denen das Handy weniger schrill in mein Leben hineinruft. Und natürlich gehört ein guter Punsch auf einem Christkindlmarkt immer dazu.

Das verstehe ich gut, ich liebe den Advent, aber auch bei mir steht heuer viel an und ich möchte die Feiertage ein wenig geruhsamer gestalten. Was mich zu meiner Frage führt; Was war dein schönster oder prägendster Moment 2025?

Der Moment, als ich „Der endlose Wille“ zum ersten Mal als gedrucktes Buch in der Hand hatte. Nach Jahren voller Zweifel, Arbeit und Herzblut plötzlich dieses Gewicht in den Händen zu spüren – das war surreal. Es fühlte sich an wie der endgültige Beweis dafür, dass aus einer Idee Wirklichkeit werden kann.

Ich finde die Möglichkeiten, die Dystopien schaffen, immer faszinierend. In was für einer Welt könnten wir leben und wie anders könnte unsere Welt aussehen. In deinem Buch werden die Bürger:innen stark überwacht: Was möchtest du Leser:innen über Freiheit und Kontrolle mitgeben?

Ich möchte vermitteln, dass Freiheit eines der höchsten Güter ist, die wir haben – und gleichzeitig etwas, das wir oft als selbstverständlich betrachten. Dabei ist Freiheit nie grenzenlos: Sie endet genau dort, wo die persönlichen Grenzen eines anderen Menschen beginnen. Diese Balance zu halten, macht eine Gesellschaft erst lebenswert.

Gleichzeitig besitzt Kontrolle eine gewisse Dualität. Sie ist nicht per se etwas Negatives – im Gegenteil: Kontrolle kann Schutz bieten, Sicherheit schaffen und Strukturen geben, die wir im Alltag brauchen. Aber wenn Kontrolle zum ständigen Hintergrundrauschen wird, wenn sie so normal erscheint, dass man sie kaum noch bemerkt, dann besteht die Gefahr, dass wir vergessen, wie sich Freiheit eigentlich anfühlt.

Mir geht es nicht darum, eine verschwörerische Warnung auszusprechen. Der Roman erzählt keine Weltuntergangsprophezeiung. Die äußeren Konflikte fungieren als Spiegel für den inneren Druck der Protagonist:innen. Stattdessen möchte ich einen Gedanken anstoßen: Wie bewusst gehen wir mit unserer eigenen Freiheit um – und wie sensibel mit der Freiheit anderer?

Das bringt mich zu meiner letzten Frage: Was macht Der endlose Wille zum perfekten Weihnachtsgeschenk?

Es ist ein Buch, das man nicht nur liest, sondern erlebt. Es bleibt im Kopf, weil es psychologische Tiefe, Spannung und philosophische Fragen miteinander verbindet – ideal für Menschen, die Geschichten lieben, die berühren und herausfordern.
„Der endlose Wille“ ist kein leichter Roman, aber einer, der lange nachhallt. Und vielleicht ist das genau das richtige Geschenk zu Weihnachten: etwas, das bleibt, wenn die Lichter schon ausgegangen sind.
Es ist ein Buch, das fesselt, berührt und Gespräche auslöst. Und damit ein Geschenk, das bleibt.

Das kann ich nur unterschreiben – vielen Dank für das tolle, spannende Interview!

Mehr über Marvin Bergauer und sein dystopisches Buch gibt es auf Instagram und beim Novum Verlag und natürlich hier am Blog. Habt einen schönen Advent!

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