
Titel: Die Tanzenden
Autor: Victoria Mas
240 Seiten
ET: 6.4.2020
Verlag: Piper
Genre: historischer Roman, Fiction
Victoria Mas Debütroman entführt uns im Jahr 1885 nach Paris, in die berühmte Salpêtrière, Europas zu diesem Zeitpunkt wohl bekanntestem Krankenhaus. Hier werden im 19. Jahrhundert vor allem Frauen, die sich zum Beispiel nicht den gesellschaftlichen Konventionen beugen wollen, und Geisteskranke, behandelt.
Zunächst lernen wir Geneviève kennen. Sie arbeitet als Oberaufseherin in der Salpêtèrie, interessiert sich sehr für Medizin. Doch ihre Ambitionen sind weder von der Gesellschaft noch im Krankenhaus gewünscht, Ärzte werden können nur Männer. Als Krankenschwester soll sie sich um die Patientinnen kümmern und nicht um medizinische Belange.
Die zweite Protagonistin ist Eugénie, Tochter aus reichem Hause, die vor ihrem Vater für ihre eigene Meinung einsteht. Die sich weigert zu heiraten und stattdessen ihr Leben selbst in die Hand nehmen will. Sie ist gebildet und rebellisch und hat Pläne und Ziele.
Zu guter Letzt gibt es noch die dritte Protagonistin, Louise. Sie ist Patientin in der Salpêtèrie und wird regelmäßig von dem berühmten Arzt Charcot unter Hypnose gesetzt und einem Publikum von Ärzten vorgeführt. Sie eifert einer früheren Patientin Charcots nach, die sein liebstes Forschungsobjekt war.
Diese drei Protagonistinnen wechseln sich in der Erzählung ab, man lernt jede von ihnen zunächst in ihrer Rolle kennen, als Oberaufseherin, als reiche Tochter, als Patientin. Erst nach und nach erfährt man mehr über die Personen, ihre Hintergründe und Beweggründe. Das hat mir sehr gut gefallen, denn es offenbart sich erst nach und nach das ganze Bild.
Außerdem hat mir dieser Perspektivenwechsel der Geschichte sehr gut gefallen. So konnte man die Handlung aus verschiedenen Blickpunkten betrachten und gleichzeitig die Protagonistinnen sehr gut kennen lernen und ihre Geschichten und Motive kennen und verstehen lernen.
Die Patientinnen der Salpêtèrie sind eigentlich Frauen wie du und ich. Oft wollten sie einfach ein selbstbestimmtes Leben führen, nicht heiraten, keine Kinder haben, einen Beruf ergreifen, ihren Träumen nachgehen und selbst über ihr Leben entscheiden. Es ist tragisch zu lesen, wie schnell Väter, Großmütter, ganze Familien, ihre Töchter für Wünsche, die heutzutage vollkommen normal, vielleicht sogar kaum erwähnenswert sind, weggesperrt und verleugnet haben. Noch schlimmer, wenn man bedenkt, dass die Geschichte vor nur etwa 130 Jahren spielt.
Faszinierend ist für mich der Kontrast des Inhalts der Geschichte zum Schreibstil der Autorin. Die Patientinnen in der Salpêtèrie haben, wie eben beschrieben, Großteils schlimme Schicksale hinter sich, wurden vergewaltigt, geschlagen, von ihren Familien verstoßen und verleugnet.
Doch ich bin so leicht durch die Geschichte geglitten, dass es ein wahrer Lesegenuss war. Die Autorin wählte ihre Worte eindeutig mit Bedacht, man spürt, dass ihr die Schicksale ihrer Protagonistinnen wichtig waren. Und stets schient ein Hoffnungsschimmer durch die Seiten zu strahlen, man fühlt mit den Protagonistinnen mit, empfindet das Unrecht, das ihnen widerfährt, und hofft doch stets, dass es ihnen besser gehen wird. Ich war teils angewidert von dem Inhalt, von der Art, wie die Familien und die Gesellschaft mit diesen Frauen umgegangen sind, und konnte das Buch doch kaum zur Seite legen, da der Stil für mich absolut wundervoll war.
Fazit: Ich habe noch nie ein Buch gelesen, dass mich inhaltlich so schockiert, gleichzeitig aber so gefesselt hat, dass ich es trotzdem nicht aus der Hand legen konnte. Absolute Leseempfehlung!
Klappentext: „Stellen Sie sich eine Zeit vor, in der eine Frau eingewiesen wird, weil sie zu rebellisch ist. Weil sie in einem Café sitzen und lesen, mitreden und mitbestimmen, eines Tages vielleicht sogar Ärztin werden will.
Diese Zeit gab es wirklich, und sie liegt noch gar nicht lange zurück.“
3 Gedanken zu „Die Tanzenden (Rezension)“